Ist der Protest gegen die Koalition in NÖ berechtigt? (Pressemitteilung, 22.03.2023)

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Pressemitteilung
22.März 2023

Gegen die Koalition der ÖVP mit der FPÖ in Niederösterreich wurde vielfältiger Protest laut. Ist ein solcher Protest nach einer demokratischen Wahl überhaupt berechtigt und sinnvoll?

Auf der Grundlage sprach- und sozialwissenschaftlicher Forschung zeigen Ruth Wodak, Ruth Simsa und Jörg Flecker, wie problematisch es für die Demokratie ist, wenn eine Gewöhnung an rechtspopulistische und rechtsextreme politische Botschaften und Haltungen eintritt. Zum Schutz der Demokratie gilt es zu vermeiden, dass bisher tabuisierte Inhalte, Argumente, Begriffe und Slogans der extremen Rechten schleichend zu „normalen“ werden. Es gilt auch zu bedenken, dass demokratische und solidarische Haltungen in der Bevölkerung meist nicht festgefügt, sondern oft auch ambivalent und daher stark durch die öffentlichen Debatten und durch „Symbolpolitik“ beeinflussbar sind. Schließlich wurde die Erfahrung gemacht, dass rechtspopulistische Regierungen schrittweise den Spielraum der Zivilgesellschaft einengen und so der Demokratie schaden. Der Protest gegen eine Beteiligung der FPÖ an der Koalition in Niederösterreich dient also der Sicherung der Demokratie und ist daher als sehr berechtigt anzusehen.

Ruth Wodak, Ruth Simsa und Jörg Flecker sind Initiator*innen des offenen Briefes von mehr als 350 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern gegen den Rechtsruck in Niederösterreich. Der Brief samt Liste der Unterzeichner*innen findet sich hier:

 

Ruth Wodak: Normalisierung und Mainstreaming – die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren

Ruth Wodak betont: „Die Normalisierung einer Politik der Ausgrenzung kann die vielen sozialen und wirtschaftlichen Probleme unserer Zeit nicht lösen. Im Gegenteil: Eine „Festung Österreich“, eingebettet in eine „Festung Europa“, kann weder eine Pandemie, die Klimakrise, die Teuerung oder die Inflation aufhalten – solche rückwärtsgewandten Fantasien dienen ausschließlich der Angstmache und der Polarisierung.“

Die rechtspopulistische Politik der Ausgrenzung, die seit 1989 und dem Fall des Eisernen Vorhangs von der damaligen FPÖ unter Jörg Haider lanciert wurde, ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angelangt und akzeptabel geworden: so soll die „Festung Europa“ und darin eingebettet die „Festung Österreich“ vor ungewollten „illegalen Migranten“ und „Asyl-Touristen“ geschützt werden. Heutzutage geht es v.a. um Mauern und Zäune im Trump’schen Sinn, die Europa und Österreich vor „ungewollten“ Fremden schützen sollen.

Hier findet „Normalisierung“ statt, also eine diskursive Verschiebung: Bisher tabuisierte Inhalte, Argumente, Begriffe, und Slogans gelangen vom Rand in die Mitte. Derart übernehmen konservative Parteien die Agenda der Rechten. Gleichzeitig kommt es zum Mainstreaming: Mainstream Akteure koalieren mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien; damit werden solche Parteien salonfähig. Die Führungspersönlichkeiten arbeiten mit Angst und Hoffnung – denn sie konstruieren sich als Retter der krisengebeutelten Nation und des jeweiligen Volkes. Völkische, nationalistische und nativistische Programme sprechen die Ängste und Unsicherheiten vieler Menschen in der Polykrise an[1].

Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsradikaler Inhalte erfüllt ein breites Spektrum von Funktionen, darunter:

  • Authentizität zu zeigen, wenn traditionelle Normen der politischen Korrektheit ‚endlich‘ infrage gestellt werden – man traut sich also auszusprechen, „was sich andere nur denken, aber sich nicht zu sagen trauen“;
  • jeden inhaltlichen, sachlich-rationalen Dialog auszuschlagen und stattdessen politische Propaganda einzusetzen;
  • konstitutive demokratische Prinzipien infrage zu stellen, wenn grundlegende Freiheiten und gut belegte empirische Fakten angegriffen werden („alternative Fakten“);
  • Identifikation mit der rechtspopulistischen Partei herzustellen, indem unbeliebte Eliten systematisch angegriffen werden;
  • mittels Skandalisierung von beabsichtigten Maßnahmen abzulenken, die die eigene Wählerschaft verärgern könnten;
  • die Gewöhnung an undemokratische Maßnahmen durch die etablierten politischen Parteien zu erleichtern.

 

Jörg Flecker: Warum öffentlicher Protest gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus für die Demokratie wichtig ist

In unserer Untersuchung über Solidaritätsvorstellungen und Spaltungen in der Gesellschaft[2] zeigten sich unterschiedliche Gefühle der Zusammengehörigkeit und der Vorstellungen von den „eigenen Leuten“ und den „Anderen“.  Bei einem Teil der Bevölkerung sind hier – bei durchaus verschiedenen politischen Orientierungen – extrem rechte Einstellungen festzustellen, wie etwa die Abwertung anderer Kulturen bei Überhöhung der eigenen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, überzogene Leistungsorientierung oder rigide Moralvorstellungen. Jedoch finden sich nur am Rande der Bevölkerung konsistente extrem rechte ideologische Haltungen.

Flecker betont: „In der breiten Mitte sind ideologische Orientierungen durchaus gemischt und veränderlich. Diese Ambivalenz bedeutet, dass Ansichten je nach politischer Wetterlage und vorherrschender öffentlicher Meinung auch umschlagen können.“ Wichtige Ereignisse, die Art, wie die Medien darüber berichten und wie die Politik sie nutzt, können die ambivalenten Haltungen in die eine oder andere Richtung tendieren lassen. Auch spielt eine Rolle, wie Menschen in bestimmten Situationen angesprochen werden.

Vor diesem Hintergrund wird die Gefahr einer schleichenden Normalisierung der Rechtsextremismus deutlich. Oft werden z.B. die alltäglichen Schwierigkeiten eines großen Teils der Bevölkerung nicht mit der zunehmenden sozialen Ungleichheit erklärt, sondern es werden die mit der Migration verbundenen Probleme systematisch in den Vordergrund gerückt oder gar vorgeschoben. Das bewirkt, dass zunehmend die nationale und „völkische“ Zugehörigkeit als Grundlage des sozialen Zusammenhalts wahrgenommen wird – ganz im Sinne der extremen Rechten. 

In den letzten Jahren haben sich politische Zielsetzungen und Botschaften zudem stark in Richtung „Symbolpolitik“ verschoben. Das zeigt auch das aktuelle Arbeitsübereinkommen von ÖVP und FPÖ in Niederösterreich. Mit Maßnahmenvorschlägen, die oft gar keine Chance auf Verwirklichung haben, soll Stimmung gemacht werden. Beispiele sind „Deutsch als Pausensprache“ oder „traditionelles und regionales Essen im Gasthaus“. Wider besseres Wissen über sachliche Zusammenhänge wird der Bevölkerung signalisiert, was für wichtig gehalten wird. Damit werden ideologische Grundlagen – hier der extremen Rechten – gestärkt.

Abschließend sagt Flecker: „Tritt niemand in der Öffentlichkeit massiv gegen extrem rechte Botschaften auf, so verschiebt sich, was für normal gehalten wird und damit die unausgesprochenen Annahmen über Zugehörigkeiten, sozialen Zusammenhalt und den Wert verschiedener Gruppen von Menschen – oft mit fatalen Folgen.“

 

Ruth Simsa: Rechtspopulistische Regierungen schränken die Zivilgesellschaft ein

Die Zivilgesellschaft ist wichtig für die Demokratie. Gleichzeitig ist sie Regierungen oft unbequem, sie kritisiert, fordert, protestiert. Rechtspopulistische Politik ist hat mit der selbstorganisierten Teilhabe von Bürger*innen oft besonders große Probleme. Wir haben untersucht, ob und in welcher Form sich Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Organisationen unter der Schwarz-Blauen Regierung im Bund 2018/19 verändert haben und inwieweit damit auch von einer autoritären Politik gesprochen werden kann.[3] Die damalige Entwicklung folgte dem aus populistisch-autoritär regierten Ländern bekannten Muster:

Zuerst gab es von Seiten der Politik eine deutliche Polarisierung des Diskurses, also der Art, wie über Zivilgesellschaft gesprochen wurde. Neben Versuchen gezielter Einschüchterung wurden zivilgesellschaftliche Aktivitäten delegitimiert, die Rede war von der Asyl-Industrie, von Profitgier, von Sozialschmarotzern etc. Sprachliche Abwertungen gab es nicht nur in sozialen Medien oder am Stammtisch, sondern von höchster Regierungsstelle.

Zweitens wurde die erfolgreiche Tradition der Zusammenarbeit der Politik mit manchen NGOs reduziert, deren Expertise weniger genutzt. Die Politik war häufig intransparent und ermöglichte weniger Mitsprache. Drittens wurde öffentliche Finanzierung stärker als davor als Machtmittel verwendet. Kritische NGOs waren von massiven Kürzungen betroffen. Dies betraf vor allem an Diversität orientierte NGOs in den Bereichen Migration, Kunst, Frauen-, Arbeitsmarkt- und Entwicklungspolitik. Kürzungen oder deren Androhung zielen darauf ab, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Der vierte Schritt – das Unterminieren von Grundrechten – war in der damaligen Erhebung nicht beobachtbar, es ist auch in internationalen Befunden meist der letzte Schritt.

Ruth Simsa meint: „Diese Politik des systematischen Einschränkens von Widerspruch, Protest und Vielfalt der Zivilgesellschaft ist in Ländern mit zunehmend autoritärer Politik deutlich zu beobachten. Polarisierende, abwertende, nationalistische Argumentationslinien der Politik, wie sie im NÖ-Arbeitsübereinkommen deutlich werden, sind ein Warnsignal.“

[1] Wodak 2021, 2022

[2] Altreiter et al. 2019, Altreiter, Flecker & Papouschek 2022, Flecker, J., Schindler, S., & Altreiter, C. 2020

[3] Simsa 2019, Simsa 2019a; https://gemeinnuetzig.at/2019/04/civil-society-index-update-2019-ist-der-politische-klimawandel-noch-zu-stoppen-2/

Literaturhinweise finden Sie im PDF