Lohnverhandlungen bei starker Teuerung – Perspektiven für den Herbst (Presseaussendung, 21.9.2023)

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Pressemitteilung
21. September 2023

Lohnverhandlungen bei starker Teuerung – Perspektiven für den Herbst

 Die Herbstlohnrunde steht unmittelbar bevor. Den Anfang macht die metalltechnische Industrie am 25. September. Das Besondere: Die Verhandlungen finden in einer Rekordinflation statt. Ökonom:innen der Wirtschaftsuniversität Wien argumentieren in einer Presseaussendung von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“, dass Lohnabschlüsse unter den vergangenen Inflationsraten zu deutlichen Reallohnverlusten führen würden. Zentraler Inflationstreiber seien die Gewinne und nicht die Löhne. Hohe Lohnabschlüsse seien volkswirtschaftlich sinnvoll und gerade für Niedrigverdiener:innen wichtig, da sie die Teuerung besonders hart trifft.

Kaufkraftverluste bei hohen Unternehmensgewinnen

Die Inflation befand sich 2022 und 2023 auf einem Rekordhoch. Die Lohn- und Gehaltsverhandlungen sind nachgelagert, orientieren sich also an der Inflation des Vorjahres. „Entsprechend sind hohe Lohnabschlüsse zu erwarten“, sagt Emanuel List, Ökonom an der Wirtschaftsuniversität Wien.

In Österreich sei die Teuerung der vergangenen zwölf Monate die zentrale Grundlage der Lohnverhandlungen. Da die Preise steigen, die Löhne aber mit einer Verzögerung von etwa einem Jahr erst verhandelt werden, sei es 2022 zu deutlichen Reallohnverlusten für die Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten gekommen. Im selben Jahr seien die Unternehmensgewinne überdurchschnittlich hoch ausgefallen. Sie waren 2022 maßgeblich für die Preissteigerungen verantwortlich, wie die Nationalbank feststellte (OeNB, 2023). Orientieren sich die kommenden Lohnerhöhungen wie üblich an der Inflation des letzten Jahres, dann werden die Reallohnverluste laut WIFO-Prognose erst bis 2024 ausgeglichen, wo sich das Niveau der Reallöhne wieder auf jenem von 2019 befinden sollte.

Auch im europäischen Kontext waren neben den höheren Importpreisen vor allem die erhöhten Gewinne von Unternehmen die zentrale Ursache für die Preissteigerungen (EZB 2023a, IMF 2023). Sowohl die Europäische Zentralbank als auch der Internationale Währungsfonds merken an: Will man die vergangenen Reallohnverluste ausgleichen ohne weitere Preissteigerungen auszulösen, dann können diese Gewinne als Puffer herangezogen werden. „Analysen von EZB, IMF und OeNB zeigen, dass es im letzten Jahr deutliche Reallohnverluste gegeben hat, während Unternehmensgewinne überdurchschnittlich hoch ausfielen und gemeinsam mit den gestiegenen Importpreisen zentraler Treiber der Inflation waren“, so List.

Der Mythos „Lohn-Preis-Spirale“

Vor den diesjährigen KV-Verhandlungen wird häufig vor einer Lohn-Preis-Spirale gewarnt. Damit ist gemeint, dass hohe Lohnabschlüsse die Lebenshaltungskostenkrise weiter anheizen. „Die Theorie der Lohn-Preis-Spirale basiert aber auf ökonomischen Mythen und Verwechslungen. Die aktuelle ökonomische Situation lässt nicht auf eine diesbezügliche Gefahr schließen“, so Lea Steininger, ebenfalls Ökonomin an der WU Wien.

Erstens würden Löhne als Antwort auf Preiserhöhungen verhandelt. Das heißt, dass nicht Löhne Preise antreiben, sondern lediglich mit ihnen mithalten wollen. Deshalb könne man speziell in der derzeitigen Situation bestenfalls von einer Preis-Lohn-Spirale sprechen.

Zweitens zeige die Besonderheit der Lebenshaltungskostenkrise, in der wir uns seit 2021 befinden, dass nicht Löhne zu Preiserhöhungen geführt haben. Sowohl internationale Institutionen wie der IWF, die EZB, die UN als auch Ökonominnen und Ökonomen wiesen nach, dass es sich Großteils um verkäuferseitig verursachte Teuerungen handelt. Es läge also keine Lohn-Preis-Spirale vor.

Drittens basiere die Annahme einer Lohn-Preis-Spirale auf der mittlerweile widerlegten Theorie, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und Preisstabilität gäbe. In einer Lebenshaltungskostenkrise seien hohe Löhne notwendig, um die steigenden Ausgaben auszugleichen. „Hohe Löhne sind für die gesamte Volkswirtschaft ein Gewinn. Sie stabilisieren die Mittelschicht und sorgen bei Unternehmen für eine hohe Nachfrage. Die Idee, dass hier ein Nullsummenspiel vorliegt, lässt sich getrost verwerfen“, so Steininger.

Lohnabschluss über Inflation notwendig für Niederigverdiener:innen

„Nationale und internationale Studien zeigen, dass sich viele Beschäftigte sogar dann weniger leisten können, wenn ihre Löhne im Ausmaß der Inflation steigen. Niedrigverdiener:innen sind besonders betroffen“, sagt der WU-Volkswirt Severin Rapp.

Ein nominelles Lohnwachstum in Höhe der Inflation könne also für viele Beschäftigte einen Reallohnverlust bedeuten (ILO, 2022). Insbesondere sei das bei den niedrigeren Einkommen der Fall. Das Konsumverhalten von Haushalten hänge eng mit der Höhe ihres Einkommens zusammen. Es sei daher zwischen Haushalten unterschiedlichen Einkommens sehr verschieden. Beispielsweise sei der Ausgabenanteil für Nahrungsmittel oder Wohnen in Haushalten mit geringem Einkommen am höchsten. Der starke Preisanstieg in diesen Gütergruppen sei für jene Menschen besonders spürbar, die einen Großteil ihres Budgets dafür ausgeben – ihre individuelle Inflation sei somit höher. So zeigen Analysen der EZB deutlich, dass Haushalte mit niedrigeren Einkommen besonders vom Preisschock betroffen sind (EZB, 2023a). Sollen Niedrigverdienerinnen und -verdiener ihre frühere Kaufkraft behalten oder wieder erreichen, müsse ein Lohnabschluss Rapp zufolge also über der allgemeinen Inflation liegen.

Grafik (siehe PDF): (Real-)Lohnentwicklung in Österreich im Verhältnis zum Verbraucherpreisindex (VPI)[1]; Quelle: Statistik Austria, Wifo

Quellen

ECBa: https://www.ecb.europa.eu/pub/economic-bulletin/focus/2023/html/ecb.ebbox202304_03~705befadac.en.html

ECBb: https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/ecbu/eb202303.en.pdf

ILO.https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—dgreports/—dcomm/—publ/documents/publication/wcms_862572.pdf

IMF: https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2023/06/26/europes-inflation-outlook-depends-on-how-corporate-profits-absorb-wage-gains

WIFO:https://www.wifo.ac.at/news/news_detail?j-cc-id=1687456914899&j-cc-node=news

 

OeNB: https://www.oenb.at/Presse/Pressearchiv/2023/20230616.html#:~:text=Gesamtwirtschaftliche%20Prognose%20f%C3%BCr%20%C3%96sterreich%202023,auf%201%2C7%20%25%20beschleunigen.

 

BIS: https://www.bis.org/publ/arpdf/ar2023e.htm

 

Rudd, J.B., 2022. Why do we think that inflation expectations matter for inflation?(and should we?). Review of Keynesian Economics, 10(1), pp.25-45.

 

Matamoros, G., 2023. Are Firm Markups Boosting Inflation? A Post-Keynesian Institutionalist Approach to Markup Inflation in Select Industrialized Countries. Review of Political Economy, pp.1-22.

[1] Der Verbraucherpreisindex (VPI) ist ein Maßstab für die allgemeine Preisentwicklung bzw. für die Inflation.