Die Sorge um Care-Arbeit geht alle an (Presseaussendung, 28.02.2023)

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Pressemitteilung
28. Februar 2023

Wir sind mit einer tiefgehenden Krise von Care-Arbeit konfrontiert, die das Potenzial hat, die Grundfesten einer menschenwürdigen Gesellschaft zu erschüttern. Ein Hauptgrund dafür ist ihre ungleiche Verteilung. Frauen wird der absolute Löwenanteil an der Care-Arbeit, in bezahlter oder unbezahlter Form, aufgebürdet. Deren Überlastung und die notorische Geringschätzung von Care-Arbeit durch die Politik führen immer wieder zu Problemen für die Sorgenden, die Umsorgten und die Gesellschaft insgesamt. „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“ nimmt den Equal-Care-Day am 1. März zum Anlass, um aus wissenschaftlicher Perspektive auf die unfaire Verteilung sowie die Bedeutung von Care-Arbeit aufmerksam zu machen.

Dass Care-Arbeit unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen stellt, ist spätestens mit der Pandemie spür- und sichtbar geworden. Ein großer Teil der Care-Arbeit – also Kinderbetreuung, Alten- und Krankenpflege etc. – wird nach wie vor von Frauen in Form von unbezahlter Arbeit geleistet, mit all den Konsequenzen von Armutsgefährdung, geringen Pensionen oder auch Mehrfachbelastungen. Deswegen wird am Equal-Care-Day auf die unfaire Verteilung der oft unsichtbaren Sorgearbeit und die Arbeitsbedingungen in der bezahlten Care-Arbeit aufmerksam gemacht.

Pandemie hat die Lage verschärft

Zu Beginn der Pandemie gab es Hoffnungen, dass Bewegung in die Teilung der Care-Arbeit kommt, aber die Lage hat sich nicht zum Positiven verändert, sondern sogar noch verschärft. Das Corona-Panel der Universität Wien hat gezeigt, dass Frauen sieben Stunden und Männer drei Stunden am Tag für Kinderbetreuung aufgewandt haben.

An der Situation, dass Frauen den allergrößten Teil nicht nur der Kinderbetreuung, sondern auch der Care-Arbeit in den anderen Bereichen übernehmen, hat sich auch mit der endenden Pandemie nichts verändert“, hält Fabienne Décieux, Soziologin an der Universität Wien und der JKU Linz fest.

Geringere Erwerbsbeteiligung von Müttern

Wenn man sich anschaut, wer in Österreich das Kinderbetreuungsgeld bezieht, zeichnet sich ein eindeutiges Bild ab. 89 Prozent der Bezieher*innen des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes sind Mütter und auch beim einkommensabhängigen liegen sie an der Spitze der Bezieher*innen. Das hat natürlich Folgen für die Beteiligung am Arbeitsmarkt. Frauen sind häufiger nicht aktiv erwerbstätig mit einem Kind unter 15 Jahren und häufiger in Teilzeit beschäftigt, während bei Männern die Erwerbsquote mit Kindern unter 15 Jahren sogar höher liegt als bei jenen ohne Kinder.

Wenn eine Mutter einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit nachgehen will, ist dies mit Kindern vielfach nicht möglich, weil schlicht die Infrastruktur an Kindergärten und Horten fehlt. Lediglich 38 Prozent der Kindergärten haben 10 Stunden geöffnet, was aber die Grundlage für eine Vollzeitarbeit darstellt. Aufgrund des Personalmangels verschärft sich die Lage tendenziell sogar weiter. Schließzeiten werden verkürzt oder Gruppen geschlossen.

Vermehrt Streiks und Proteste durch Sorgearbeiter*innen

Auch mit Blick auf die bezahlte Care-Arbeit zeigt sich eine klare geschlechtliche Zuweisung. Hier arbeiten mehrheitlich Frauen, und zwar häufig unter schwierigen Bedingungen. Fabienne Décieux, die unter anderem zum Interessenhandeln im Bereich der Sorge und Sorgearbeit forscht, spricht davon, dass sich auch hier die Lage weiter zugespitzt hat. „Wir können sehen, dass es in der Altenpflege und in Krankenhäusern zu Bettenschließungen kommt und auch Gruppen in Kindergärten immer öfter nicht mehr regulär geöffnet haben. Die Sorgearbeit ist ein Bereich, der für die Beschäftigten extrem anspruchsvoll ist und mit hohen Anforderungen, aber gleichzeitig einer zu geringen Bezahlung einhergeht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass seit der Pandemie auch in Österreich Proteste und Streiks in diesen Arbeitsbereichen aufkommen. Fehlende Finanzierung von Sorgearbeit führt zu permanenter Überbelastung der Beschäftigten und das hat unweigerlich Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.“

Oberflächlich-kurzfristige Lösungen und symbolische Anerkennung reichen nicht

Es zeigt sich in immer mehr Bereichen von Care, dass ein „Weiter wie bisher“ nicht haltbar ist. Bisher umgesetzte Maßnahmen, wie die 24-Stunden-Betreuung oder die symbolische Bezahlung für Angehörige, sind nur kurzfristige Symptombekämpfung, die die grundsätzliche Frage nach der Verteilung von Care-Arbeit nicht lösen.

Auch technikzentrierte Ansätze einer zunehmenden Digitalisierung von Care-Arbeit stellen unter den gegebenen Umständen keine Lösung dar. Anna Pillinger, die an der JKU Linz zum Einsatz digitaler Technologien in der Sorge forscht, zeichnet ein ernüchterndes Bild: „Wenngleich es Bestrebungen gibt, durch Technikeinsatz Sorgearbeiter*innen zu entlasten, zeigt sich in der Umsetzung, dass es weniger um menschenwürdige Sorge als vielmehr um Fragen der Effizienz geht. Bestehende Lücken in der Sorge werden hierdurch nicht geschlossen.“

Care-Arbeit braucht mehr als eine nur symbolische Anerkennung. Sie ist notwendige Bedingung, damit sich unsere Gesellschaft gut weiterentwickeln kann. Care-Arbeit ist somit keine Restkategorie, die irgendwie erledigt werden kann, sie hat im Gegenteil Systemrelevanz. Aus der tiefen Krise führen nur ein nachhaltiger Ausbau der Sorgeinfrastrukturen, eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie eine konsequente Umverteilung von Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern.