COP15 bringt neues Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt: Ein Ausweg aus der vergessenen Krise der Biodiversität? (Presseaussendung, 20.12.2022)

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Pressemitteilung

COP15 bringt neues Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt: Ein Ausweg aus der vergessenen Krise der Biodiversität?

[Montréal/Wien 20.12.2022] Am 19. Dezember endete der UN-Weltnaturgipfel (COP 15) in Montréal offiziell. Ergebnis der zwölftägigen Verhandlungen ist ein neues internationales Abkommen über den Artenschutz. Rund 200 Staaten setzten sich darin das Ziel, mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Forschende der Uni Wien waren bei den Verhandlungen anwesend und haben das Abkommen unter die Lupe genommen. Sie sehen im Beschlusstext ein Nebeneinander von Fort- und Rückschritten und mahnen, dass Zielsetzungen allein noch keinen effektiven Biodiversitätsschutz ausmachen. Wesentlich für den Schutz ökologischer Vielfalt sei, dass Ziele auch durch wirksame Maßnahmen gedeckt sind und diese auch umgesetzt werden.

Die Biodiversitätskrise – eine unterschätzte ökologische Bedrohung

Biodiversität ist unter massivem Druck. Expandierende und intensivierte Landnutzung, Umweltverschmutzung, Ausbeutung natürlicher Populationen und Verschleppung invasiver Arten über Kontinente haben dazu geführt, dass die Populationen unzähliger Tier- und Pflanzenarten in den letzten Jahrzehnten eingebrochen sind und eine geschätzte Million Arten als global bedroht gilt. Viele dieser Arten erbringen wertevolle ‚Ökosystem-Dienstleistungen‘ für uns, wie die Bestäubung von Nutzpflanzen, die Nährstoffrezyklierung in Böden oder die Filterung von Schadstoffen aus Luft und Gewässern. „Die möglichen Auswirkungen des Artenverlusts auf das Funktionieren von Ökosystemen und daher letztlich auf uns selbst sind daher massiv“, so Stefan Dullinger, Professor für Vegetation Science an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Uni Wien.

Neues Abkommen bringt keine Trendwende

Der neue Globale Rahmen für die biologische Vielfalt für die Zeit nach 2020 soll den fortschreitenden Artenverlust stoppen und zu einer Trendumkehr führen. Wesentliche Instrumente sind eine Unterschutzstellung von 30% der marinen und 30% der terrestrischen Landfläche, eine aktive Restauration von mindestens 30% der bereits degradierten Ökosysteme, eine massive Reduktion der Umweltverschmutzung durch Pestizide und Düngemittel sowie eine generelle Berücksichtigung von Biodiversität in der Planung von Landnutzung und anderen menschlichen Aktivitäten. „Die gemeinsame Verpflichtung auf diese Ziele stellt jedenfalls einen wichtigen Schritt dar“, so Dullinger. Aber: „Einige der vorab diskutierten Ziele wurden allerdings im jetzt vorliegenden Text abgeschwächt. Besonders problematisch ist, dass das Ziel, das Aussterberisiko der Arten bis 2030 zu halbieren, aus dem Text gestrichen worden ist. Damit geht der wesentliche Maßstab für den Erfolg konkreter Maßnahmen zum Biodiversitätsschutz verloren“, so der Forscher. Auch einige andere Ziele wurden mehr oder weniger stark eingeschränkt. So wollen die Staaten bis 2030 nur die Hälfte statt zwei Drittel der Pestizide einsparen; die Vorgabe, die Kohlendioxydbilanz durch biodiversitätsfördernde Maßnahmen wie Restaurierung natürlicher Wald-Ökosysteme zu verbessern, enthält keine konkreten, quantitativen Vorgaben. Außerdem soll in Schutzgebieten ‚nachhaltige Nutzung‘, ein bekanntlich dehnbarer Begriff, weiterhin möglich sein. „Diese Einschränkungen stellen in Frage, ob das ambitionierte längerfristige Ziel einer Reduktion des Aussterberisikos bis 2050 auf eine Zehntel des heutigen Niveaus tatsächlich erreicht werden kann“, gibt Dullinger zu bedenken.

Fort- und Rückschritte beim Meeresschutz

Die Politikwissenschafterin Alice Vadrot, deren Team die Verhandlungen in Montréal beobachtet hat, hält fest, dass sich die Vertragsparteien nach langen Diskussionen auf einige gemeinsame Grundätze einigen konnten – unter anderem darauf, alle Ökosysteme zu schützen (Ziel A) und die Raumplanung in allen Land- und Meeresgebieten umzusetzen (Target 1). „Dies bedeutet, dass das Aussterberisiko in allen Ökosystemen der Erde – auch in den Meeren – verringert werden soll und dass menschliche Aktivitäten in verschiedenen Land- und Meeresgebieten so geplant werden sollen, dass ein Verlust der biologischen Vielfalt vermieden wird“, so Vadrot. Die Vertragsparteien einigten sich außerdem darauf, bis 2030 30 % der geschädigten Land-, Küsten- und Meeresökosysteme wiederherzustellen, um ihren natürlichen Zustand zu verbessern (Target 2), und 30 % der Land- und 30 % der Meeresflächen bis 2030 durch die Einrichtung von Schutzgebieten zu schützen, wobei die Rechte indigener Völker und Gemeinschaften über ihre traditionellen Gebiete zu achten sind (Target 3). „Mit anderen Worten: Weltweit sollen mehr Gebiete wiederhergestellt und geschützt werden, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten und umzukehren“, so Vadrot weiter.

Allerdings gibt es auch Rückschritte im Abkommen, was den Meeresschutz angeht: „Zu den Rückschlägen im angenommenen Text hinsichtlich Meeresschutz zählt die Wahl des Wortes ‚Meere‘ anstelle des Wortes ‚Ozean‘. Der Begriff ‚Meere‘ bedeutet, dass von den Staaten nicht unbedingt erwartet wird, dass sie Meeresgebiete in internationalen Gewässern schützen – wie es beim Schutz des ‚Ozeans‘ der Fall wäre -, da sich der Begriff ‚Meere‘ nach allgemeinem Verständnis nur auf nationale Gewässer bezieht“, gibt Politikwissenschafterin Silvia Ruiz von der Uni Wien, die die Verhandlungen vor Ort beobachtet hat, zu bedenken. „Dennoch ist die Einigung über den Schutz und die Wiederherstellung von 30 % der Meere eine Errungenschaft, die den Rahmen für das künftige Abkommen über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt der Meere in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit abstecken wird“, so Ruiz weiter.

Zielsetzungen allein schaffen noch keinen effektiven Schutz

Allerdings werden für einen effektiven Biodiversitätsschutz nicht nur die jetzt beschlossenen Zielsetzungen wesentlich sein, sondern vor allem die konkreten Umsetzungsmaßnahmen: „Studien haben klar gezeigt, dass der Schutzstatus allein der Biodiversität wenig nutzt, solange die Gebiete nicht den Schutzzielen entsprechend gemanagt werden. Und gegen global wirksame Bedrohungsursachen, insbesondere den Klimawandel helfen auch Schutzgebiete nur beschränkt. Eine Trendumkehr bei der Biodiversitätskrise wird daher wesentlich auch auf eine Eindämmung der Klimakrise angewiesen sein“, schließt der Biodiversitätsforscher Dullinger.