Pfingstdialog Steiermark: EU-Vermögenssteuer für ein grünes und gerechtes Europa (Pressemitteilung 2.6.2022)

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Pfingstdialog Steiermark: EU-Vermögenssteuer für ein grünes und gerechtes Europa

[Wien, 02.06.2022] Der diesjährige Pfingstdialog am 1. und 2. Juni widmet sich der Frage „Green Europe – Deal or no deal?“ Die Vorschläge zur strukturellen Umsetzung eines Programms zum Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität sind unterschiedlich, doch unbestritten ist: In der EU klafft eine grüne Investitionslücke. Forscher der Uni Greenwich und der Uni Duisburg-Essen beziffern diese mit 850 Milliarden € jährlich. Sie zeigen in einer aktuellen Studie, dass eine europäische Vermögenssteuer je nach Ausgestaltung bis zu 360 Milliarden € jährliches Aufkommen generieren und so einen wichtigen Beitrag leisten könnte, um diese Lücke zu schließen. Darüber hinaus würde eine solche Steuer die Vermögensungleichheit in der EU verringern.

Wenn die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränkt bleiben soll, muss der Ausstoß an Treibhausgasen sehr rasch reduziert werden. Basierend auf den jährlichen Emissionen von 2020 verbleiben weniger als 9 Jahre, bis das weltweite CO2-Budget aufgebraucht sein wird. Die Europäische Kommission hat im Dezember 2019 den European Green Deal präsentiert, der die Europäische Union in Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel bringen soll, also einer maximalen Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur zwischen dem Beginn der Industrialisierung und dem Jahr 2100.

„Die Transformation der Wirtschaft und die notwendigen Klimainvestitionen verlangen ein strukturiertes und aktives Vorgehen des öffentlichen Sektors“, sagt Elisabeth Springler. Die Ökonomin leitet den Studiengang „Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung“ an der Fachhochschule des BFI Wien und wird beim diesjährigen Pfingstdialog vortragen. „Der hohe Finanzierungsbedarf macht ein abgestimmtes Vorgehen innerhalb der EU unverzichtbar“, so Springler weiter, die eine Diskussion über verschiedene Finanzierungsformen dringend geboten sieht.

Wie viel Geld wird für den Umbau der Wirtschaft benötigt? Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts haben Wissenschafter an der Universität Greenwich in London und an der Universität Duisburg-Essen den EU-weiten Finanzierungsbedarf erhoben. Hierfür haben sie zunächst analysiert, inwiefern die gegenwärtigen Klimamaßnahmen tatsächlich ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die gegenwärtigen Klimamaßnahmen auf EU-Ebene nicht ausreichend sein werden, um die Verpflichtungen von Paris einzuhalten. Die Autoren kalkulieren, dass die Transformation hin zu einem CO2-neutralen Energiesektor, CO2-neutralen Gebäuden inklusive Heizung und Kühlung sowie die Entwicklung der notwendigen neuen Technologien für CO2-neutrale industrielle Prozesse jährlich rund €850 Milliarden an zusätzlichen Investitionsausgaben erfordern. Dabei handelt es sich bestenfalls um eine Untergrenze, da die Studie den Transportsektor weitgehend ausklammert.

„Ausgehend vom niedrigen Investitionsniveau des Privatsektors in der Vergangenheit, gehen wir davon aus, dass ein Großteil der benötigten Mittel von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden muss.“, sagt Studienautor Jakob Kapeller, Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Bestehende Investitionsmaßnahmen auf EU-Ebene greifen Kapeller zufolge viel zu kurz: „Der European Recovery Fund, das als revolutionär gepriesene Investitionsprogramm zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie und der Klimakrise, zielt darauf ab, zusätzliche jährliche Investitionen von €75 Milliarden zu finanzieren. Dies bedeutet, es verbleibt immer noch ein Bedarf an zusätzlichen Investitionen von jährlich €775 Milliarden“, so der Ökonom.

Wie lässt sich diese Lücke schließen? Elisabeth Springler zufolge gibt es hier nicht den einen Weg. Wichtig sei, dass mehrere EU-weite Ansätze zur Finanzierung ineinandergreifen und dass alle auf dem Tisch liegenden Optionen auch berücksichtigt werden. Dazu gehört die EU-weite Besteuerung großer Vermögen: „Eine EU-weite Vermögenssteuer bringt ein großes Finanzierungspotential mit sich, das keinesfalls ignoriert werden sollte“, so die Ökonomin. Das bestätigen die Forschungen von Kapeller und Wildauer. In einer zweiten Studie untersuchten sie das Finanzierungspotential verschiedener Modelle einer allgemeinen EU-Vermögenssteuer. Die untersuchten Daten stammen aus einer von der Europäischen Zentralbank koordinierten regelmäßig stattfindenden Erhebung. Das Ergebnis: Ein lineares Steuermodel, bei dem Vermögen über einer Million € mit 2% besteuert wird, wäre der Studie zufolge in der Lage rund 190 Milliarden € an zusätzlichen jährlichen Steuereinnahmen in der EU zu generieren. Dies entspräche 1,6% der Wirtschaftsleistung.

Neben dieser linearen Variante haben die Autoren auch das Potenzial einer progressiven Besteuerung untersucht: Progressive Steuermodelle mit mehreren Steuerklassen und einer stärkeren Besteuerung von besonders hohen Vermögen, wie sie von den reichsten 1% der Haushalte gehalten werden, wären in der Lage bis zu €360 Milliarden an zusätzlichen jährlichen Steuereinnahmen in der EU zu generieren. Dies entspräche 3% der Wirtschaftsleistung. „Eine allgemeine europäische Vermögenssteuer wäre somit in der Lage zwischen einem Drittel und der Hälfte der bestehenden grünen Investitionslücke zu finanzieren“ sagt Studienautor Rafael Wildauer, der als Ökonom an der Universität Greenwich zu Fragen der Vermögensungleichheit und der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft forscht: „Die dann noch verbleibende Lücke könnte durch die Ausgabe gemeinsamer europäischer Staatsanleihen zumindest teilweise geschlossen werden“, fügt Wildauer hinzu.

Neben der Klimakrise ist die ungleiche Verteilung des Privatvermögens ein großes Problem in der EU. So geht aus den zur Steuerschätzung verwendeten Daten der Europäischen Zentralbank hervor, dass das reichste 1% der europäischen Haushalte 18% des Gesamtvermögens besitzt. Wird die Untererfassung besonders reicher Haushalte in den Daten berücksichtigt, steigt dieser Wert auf 32% an. Die Vermögenskonzentration in der EU ist damit ähnlich hoch wie in den USA. Dort besitzt das reichste 1% der Haushalte rund 36% des Gesamtvermögens. Eine EU-weite Besteuerung großer Vermögen kann daher mehrere Probleme zugleich adressieren: „Speziell progressive Vermögenssteuermodelle würden nicht nur einen Beitrag zur Klimafinanzierung leisten, sondern auch dazu beitragen, die gegenwärtig extrem ungleiche Verteilung des Privatvermögens in der Europäischen Union zu verringern“, argumentiert Wildauer und fügt abschließend hinzu: „Angemessen erscheint eine Steuer auf große Vermögen zur Finanzierung von Klimainvestitionen auch deshalb, weil Reiche und Superreiche um ein Vielfaches höhere Treibhausgasemissionen verursachen als andere.“

Die Studien:

Wildauer, Rafael; Kapeller, Jakob; Leitch, Stuart (2020): How to boost the European Green Deal’s scale and ambition, Policy Study, URL: https://www.feps-europe.eu/attachments/publications/green%20deal%20ambition%20-%20web%20-18-06_1.pdf, abgerufen am 21.02.2022

Kapeller, Jakob; Leitch, Stuart; Wildauer, Rafael (2021): A European wealth tax for a fair and green recovery, Policy Study, URL: https://www.feps-europe.eu/attachments/publications/a%20european%20wealth%20tax_policy%20study.pdf, abgerufen am 21.02.2022