Neue Studie: Ungleicher Zugang zu Kinderbetreuung– mehr öffentliche Einrichtungen als Ausweg (Presseaussendung, 11.11.2021)

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Pressemitteilung         11. November 2021                                                       

Studie: Ungleicher Zugang zu Kinderbetreuung– mehr öffentliche Einrichtungen als Ausweg

Wie ungleich gestaltet sich der Zugang zu Kinderbetreuung für Menschen je nach sozialer Lage? Wie lässt sich der Zugang für Kinder aus niedrigeren Einkommensschichten verbessern? Welche Rolle spielen die verschiedenen Trägerorganisationen hierbei?

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In dieser Presseaussendung von Diskurs. Das Wissenschaftsnetz zeigen die Sozioökonominnen Astrid Pennerstorfer und Michaela Neumayr auf Basis aktueller Forschungsergebnisse für Wien, wie ungleich der Zugang zur Kinderbetreuung ist, und weisen darauf hin, wie dieser folgenreichen Schieflage durch einen Ausbau öffentlicher Einrichtungen oder eine zielgerichtete öffentliche Förderung begegnet werden kann.

[Wien/11.11.2021] Positive Effekte des Besuchs einer Kinderbetreuungseinrichtung für die Chancengleichheit der Kinder sind wissenschaftlich gut dokumentiert, da Kinder benachteiligter Schichten übermäßig stark profitieren. „Gleichzeitig wissen wir, dass die Partizipationsraten von Kindern verschiedener Gesellschaftsschichten unterschiedlich sind. Problematischerweise bleiben häufig genau jene Kinder fern, die davon am meisten profitieren würden“, so Astrid Pennerstorfer, assoziierte Professorin am Institut für Sozialpolitik an der WU Wien und Leiterin eines jüngst abgeschlossenen und durch den Jubiläumsfonds der Stadt Wien geförderten Forschungsprojekts zu Ungleichheiten in der Wiener Kinderbetreuung (Laufzeit 01.09.2020 bis 30.09.2021). Die Gründe dafür sind vielfältig. So variieren sowohl die Erwerbsquoten von Frauen, aber auch die Leistbarkeit und Verfügbarkeit von Kindergärten je nach Wohnort.

Die Situation in Wien ist besser als in anderen Bundesländern. Jedoch zeigen die Ergebnisse der besagten Studie, dass trotz eines universellen Zugangs und eines starken Ausbaus an Kinderbetreuungseinrichtungen, nicht alle Wiener Kinder in gleichem Maße davon profitieren: „Hinsichtlich der räumlichen Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen finden wir, dass diese zwischen Wohnvierteln mit unterschiedlichem sozioökonomischen Status variiert. In Wohnvierteln mit niedrigerem sozioökonomischen Status stehen Kindern in der Nähe ihres Wohnortes weniger Plätze zur Verfügung als in Wohnvierteln mit höherem sozioökonomischen Status.“, so die Sozioökonomin. Konkret zeigt die Studie, dass für Kinder, die in den „besten“ 25% aller Wohnvierteln wohnen, die Zugänglichkeit zwischen 9% und 20% höher ist – je nachdem ob die „Güte“ eines Wohnviertels mithilfe des Indikators Bildung, Einkommen oder Wohnungspreisen gemessen wird – als für Kinder, die in den „schlechtesten“ 25% wohnen. Das bedeutet, dass diesen Kindern zwischen 9% und 20% mehr Betreuungsplätze zur Verfügung stehen. Im Zeitverlauf – Zeitraum der Untersuchung war 2009-2014 – hat sich diese Ungleichheit sogar verstärkt.

Auch hinsichtlich der Trägerorganisationen zeigen sich deutliche Unterschiede, was die räumliche Verteilung und damit den Zugang betrifft. In reicheren Gegenden sind vor allem private Nonprofit-Kindergärten und -Krippen, beispielsweise elternverwaltete oder kirchliche Einrichtungen, angesiedelt. Für die beiden großen privaten Betreiber in Wien, nämlich die Kinderfreunde sowie Kinder in Wien (KIWI), zeigt sich dagegen, dass sie relativ gleichmäßig im städtischen Raum verteilt sind. Eine besonders ausgleichende Rolle spielen demgegenüber die städtischen Kindergärten. Öffentliche Einrichtungen, also von der Stadt Wien betriebene Kindergärten und Kinderkrippen, bieten nämlich im Unterschied zu privaten Organisationen sogar mehr Plätze in Wohnvierteln mit niedrigem sozioökonomischen Status. Ein Problem stellt hingegen ihr geringer Anteil dar: „Da sie nur rund ein Drittel aller Plätze in Wien anbieten, können sie die von privaten Betreibern verursachte ungleiche Zugänglichkeit nicht beseitigen“, so Michaela Neumayr, die ebenfalls im besagten Projekt mitgearbeitet hat.

Nicht nur bei der räumlichen Verteilung, auch hinsichtlich der monatlichen Kosten für Eltern zeigt die Forschung deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Betreibern. Die monatlichen Kosten für Eltern sind bei den kleinen privaten Betreibern absolut am höchsten und liegen bei durchschnittlich 166 EUR, während sie bei städtischen Betreibern bei 68 EUR liegen (monatliche Kosten umfassen Ergänzungsbeiträge, Essensbeiträge und andere Kosten, nicht aber einmalige Aufnahmegebühren oder Kautionen). Dies kann Neumayr zufolge auch die Unterschiede in der Standortwahl ein Stück weit erklären: „Je höher das Durchschnittseinkommen in einem Bezirk, desto höher die Preise der privaten, vornehmlich kleinen Betreiber. In öffentlichen Kindergärten gibt es keine und in Kindergärten der Kinderfreunde und Kinder in Wien nur sehr geringe Preisvariation zwischen den Wohngegenden. Für kirchliche Kindergärten zeigt sich ein relativ heterogenes Bild, was monatliche Kosten je Wohngegend betrifft“, so die Forscherin.

Um der Schieflage beim Zugang zu Kinderbetreuung zu begegnen, sind öffentliche Einrichtungen und Unterstützung wichtige Hebel: „Ein Ansatzpunkt für eine mögliche Steuerung zum Abbau bestehender Ungleichheiten im räumlichen Angebot von Kinderbetreuung wäre, in Wohngegenden, in denen Eltern diese Ressourcen nicht aufbringen können, öffentlich mehr Plätze anzubieten oder Unterstützung zu gewähren.“ Und: „Zudem ist zu überlegen, ob Kinderbetreuungseinrichtungen in manchen Wohngegenden auch aufgrund unterschiedlicher Herausforderungen absolut gesehen mehr Ressourcen benötigen als in anderen“, so Astrid Pennerstorfer abschließend.

Links zur Studie:

1)    Pennerstorfer, Astrid, Pennerstorfer, Dieter. 2021. Inequalities in Spatial Accessibility of Childcare: The Role of Non-profit Providers. Journal of Social Policy. 50 (1), 122-147. https://bach.wu.ac.at/d/research/results/94248/

 

2)    Projektseite: Gleicher Zugang zu institutioneller Kinderbetreuung in Wien: https://www.wu.ac.at/netzwerktreffen/liste-der-vorgestellten-projekte/projekt-3