Neue Daten zeigen: Hohes Armutsrisiko bei Arbeitslosigkeit (Pressemitteilung 4.5.2022)
Expert*innen
Prof. Dr. Karin Heitzmann (WU Wien)
Weitere Informationen zur Expertin finden Sie im PDF.
Kontakt für Rückfragen
Dr. Manfred Krenn
Diskurs. Das Wissenschaftsnetz
T: +43-1-31336 5604 | M: +43-677-620 44 3
krenn@diskurs-wissenschaftsnetz.at
Danyal Maneka
Diskurs. Das Wissenschaftsnetz
+43 650 30 11 273
maneka@diskurs-wissenschaftsnetz.at
Downloads
Pressemitteilung
04. Mai 2022
Neue Daten zeigen: Hohes Armutsrisiko bei Arbeitslosigkeit
Neue Statistiken und eine aktuelle Befragung sprechen eine deutliche Sprache: Arbeitslosengeld und Notstandshilfe schützen sehr viele nicht vor Armut. Die Lage der arbeitsuchenden Personen verschlechtert sich deutlich. Die Bundesregierung verfehlt ihre Armutsziele. Die WU-Professorin Karin Heitzmann geht auf diesen Zusammenhang ein und zeigt anhand aktueller Daten auf, dass die Unterstützung durch das AMS für viele Erwerbslose zu niedrig ist.
Arbeitslosigkeit ist in Österreich mit einem hohen Armutsrisiko verbunden, das sich mit zunehmender Dauer drastisch verschärft. Das belegen die aktuellen Ergebnisse der Erhebungen von Statistik Austria zum EU-SILC 2021 (Befragungszeitraum Februar bis Juli 2021, Statistik Austria 2022b) und zum Start der Serie „So geht’s uns heute“ (Befragungszeitraum November und Dezember 2021, Mühlböck et al. 2022).
Laut EU-SILC betrug 2021 die Armutsgefährdungsquote für alle Personen im Erwerbsalter (18–64 Jahre) 13% (Statistik Austria 2022b: S. 90). Die Betroffenheit von Arbeitslosen ist demgegenüber deutlich höher. Bei einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit (1–5 Monate) sind schon 17% armutsgefährdet. Dauert die Arbeitslosigkeit zwischen 6 und 11 Monate an, erhöht sich die Gefährdung weiter: bereits jede/r dritte Arbeitslose ist dann auch armutsgefährdet (31%). „Und ab einem Jahr Arbeitslosigkeit beziehen schon 57% in dieser Gruppe nur mehr ein Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle. Die vorhandene Evidenz zeigt also, und das seit Jahren, dass mit der Dauer der Arbeitslosigkeit auch das Armutsrisiko weiter steigt“, so die WU-Forscherin Karin Heitzmann.
Zu niedriges Arbeitslosengeld
Der wesentliche Grund für die enorm hohe Armutsgefährdung von Arbeitslosen, die mit Zunahme der Arbeitslosigkeit drastisch ansteigt, sind die geringen Lohnersatzraten bei Arbeitslosigkeit. „Für viele Arbeitslose sind das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe zu niedrig“, betont die WU-Professorin. 2020 betrug der durchschnittliche Tagsatz beim Arbeitslosengeld ca. 33 Euro. Nicht zuletzt, weil die Notstandshilfe auf Grund der COVID-19 Pandemie erhöht worden ist, war sie mit 29 Euro im Schnitt höher als in den vergangenen Jahren (2019: 27 Euro, Statistik Austria 2022a).
Weil diese Leistungen ihr Ziel, die Existenzsicherung, aber nicht erreichen, sind viele Arbeitslose trotz dieser Versicherungsleistungen zusätzlich auf bedarfsorientierte Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe angewiesen. So haben im Jahr 2020 im Durchschnitt zumindest 36.000 Personen zusätzlich zu einer AMS-Leistung auch eine Mindestsicherungs- bzw. Sozialhilfeleistung bezogen (BMSGPK 2021: S. 57).
Die aktuelle Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil von armutsgefährdeten Menschen in Österreich zu halbieren (Bundeskanzleramt 2020, S. 168). Dazu wäre es unter anderem auch notwendig, die Arbeitslosenleistung deutlich zu erhöhen – vor allem auch im Hinblick auf die enorm hohe Inflation, die ein Auskommen mit dem knappen Einkommen ohnehin immer schwerer möglich macht.
Finanzielle Lage verschlechterte sich
Dass sich die finanzielle Lage verschlechtert, belegen auch die aktuellsten Befragungsergebnisse aus dem November und Dezember 2021 (Mühlböck et al. 2022, S. 12ff). Diese (für Österreich repräsentative) Erhebung weist insbesondere für Arbeitslose auf eine zunehmend prekärer werdende Lage hin. Mehr als die Hälfte der befragten Arbeitslosen gab an, weniger Geld als vor einem Jahr zur Verfügung gehabt zu haben (im Vergleich zu einem Drittel in der 16-69-jährigen Gesamtbevölkerung). Immerhin 42% der Arbeitslosen (im Vergleich zu 14%) müssen mit weniger als € 1000 im Monat das Auslangen finden. Wenig überraschend gaben 39% der Arbeitslosen an (im Vergleich zu 14% im Bevölkerungsschnitt), mit ihrem Einkommen nur mit (großen) Schwierigkeiten auszukommen. Sehr deutlich zeigt sich die finanzielle Prekarität darin, dass mehr als ein Viertel der Arbeitslosen (im Vergleich zu 7% im Bevölkerungsschnitt) im in der Befragung vorangegangen Quartal mit Zahlungen in Verzug gewesen ist. Für 38% der Arbeitslosen stellen die Wohnkosten eine schwere finanzielle Belastung dar: im Vergleich zu 14% in der Gesamtbevölkerung. Zeichen der enormen psychischen Belastung durch die geringen Einkommen und die Arbeitslosigkeit zeigen besorgniserregende Befunde zum Wohlbefinden. Befragt danach, wie glücklich, einsam oder zufrieden sie seien, schneiden Arbeitslose in allen Bereichen (deutlich) schlechter ab als die Bevölkerung im Durchschnitt.
Quellen
Bundeskanzleramt Österreich (2020). Aus Verantwortung für Österreich. Regierungsprogramm 2020 – 2024
https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:7b9e6755-2115-440c-b2ec-cbf64a931aa8/RegProgramm-lang.pdf
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) (2021), Mindestsicherungs- und Sozialhilfestatistik 2020
Mühlböck, M, Hartleib, S., Brüngger, L. & Till, M. (2022), So geht’s uns heute: die sozialen Folgen der Corona-Krise: Ergebnisse einer Statistik-Austria-Befragung im vierten Quartal 2021
Statistik Austria (2022a), Durchschnittliche Höhe des Arbeitslosengeld- und Notstandshilfetagsatzes 1990 bis 2020 https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/soziales/sozialleistungen_auf_bundesebene/arbeitslosenleistungen/020063.html
Statistik Austria (2022b), Tabellenband EU-SILC 2021 https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=128048