Ein halbes Jahrhundert Versagen der Politik (Presseaussendung, 01.03.2022)

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Pressemitteilung
01. März 2022

Ein halbes Jahrhundert Versagen der Politik

Vor 50 Jahren erschien der Bericht „Grenzen des Wachstums“ an den Club of Rome

Vor einem halben Jahrhundert erschien der legendäre Bericht „Grenzen des Wachstums“. Er ist von dramatischer Aktualität und zeigt das Versagen der Politik. Während heute viel von „grüner Ökonomie“ und „Verzicht“ die Rede ist, bedarf es eher der Initiativen und Regeln für gesellschaftliche Selbstbegrenzung. Das zeigen die ForscherInnen zu internationaler Umweltpolitik, Dr. Alina Brad und Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand von der Universität Wien in einer neuen Studie zu „planetaren Grenzen und gesellschaftlichen Grenzen“.

Am 2. März 1972 präsentierten die WissenschaftlerInnen Donella und Dennis Meadows und ihr Team vom renommierten Massachusetts Institute of Technology ihre Studie „Grenzen des Wachstums“ der Weltöffentlichkeit (1). Das Buch steht für den Beginn eines globalen Bewusstseins um die ökologische Krise. In der Auftragsarbeit des ExpertInnengremiums Club of Rome (gegründet 1968) wurden verschiedene Szenarien präsentiert, wie sich die Weltbevölkerung, die Produktion von Industriegütern und Nahrungsmitteln, die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe und die Umweltzerstörung in den kommenden Jahrzehnten entwickeln könnten. Die Ergebnisse waren alarmierend. Das „Standardszenario“ der Studie von 1972 sagt einen gesellschaftlichen Kollaps Mitte des 21. Jahrhunderts voraus: Ein starker Rückgang der Bevölkerung und bei der industriellen Produktion.

Die ForscherInnen, die mit ihrem „World3“-Modell gleichzeitig Pionierarbeit in der computergestützten Datenverarbeitung leisteten, wollten die Welt wachrütteln und zum Umsteuern ermuntern: Weg vom immer weiteren Wachstum. Dafür bedürfe es weitreichender Umweltpolitiken, Geburtenkontrolle gegen das Bevölkerungswachstum und technologischer Innovationen. „In der Diskussion seither wurde vergessen, dass die Autorinnen und Autoren des Berichts auch vorgeschlagen haben, das Kapitalwachstum zu begrenzen und wirtschaftliche Gleichgewichte zu schaffen“, so Dr. Alina Brad vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. „Der Expansionsdrang der kapitalistischen Wirtschaft hat sich aber seither eher intensiviert. Viele Studien zeigen: Die Vorstellungen einer Grünen Ökonomie, nämlich Umweltschutz und Wirtschaftswachstum zu versöhnen, wird nicht klappen. Und auch die aktuelle Fixierung auf technologische Lösungen im Kampf gegen die Klimakrise würden die AutorInnen des Berichts zurückweisen.“

„Wie viel unnötige Zeit bei der Bekämpfung der Umweltkrise vertan wurde, zeigen die weitreichenden Vorschläge des Berichts zum vollständigen Recycling von Ressourcen als zentralem Baustein einer zukunftsfähigen Wirtschaft“, betont Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand von der Universität Wien. „Doch die Auflösung von Pfandsystemen und die Wegwerfgesellschaft habe sich seither kräftig entwickelt und mächtige wirtschaftliche Interessen stellen sich gegen vernünftiges Recycling.“

Die Vorhersagen im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung in den folgenden Jahrzenten haben sich erfüllt. Die Prognosen in Hinblick auf knapper werdende Ressourcen oder ein Zusammenbrechen der globalen Industrie- und Nahrungsmittelproduktion, die in den meisten Szenarien simuliert wurden, haben sich demgegenüber nicht bewahrheitet. „Wir können nicht davon ausgehen, dass Ressourcenknappheit automatisch zu einem Umdenken führt. Das Problem heute ist nicht die Ressourcenknappheit, sondern dass es noch zu viele fossile Rohstoffe gibt, die verbrannt werden können. Die Klimakrise muss mit politischen Maßnahmen gestoppt werden, nämlich durch eine Begrenzung der Expansionsdynamik der Wirtschaft“, sagt Ulrich Brand, der mit Alina Brad und 26 weiteren AutorInnen aus 13 Ländern jüngst eine Studie zum Thema „planetare Grenzen, gesellschaftliche Grenzen“ veröffentlichte (2).

In dieser Studie wird etwa gezeigt, dass es „nachhaltige Konsumkorridore“ braucht, die nicht nur Mindeststandards setzen für ein gutes Leben und damit Armut bekämpfen. Vielmehr bedarf es auch gesellschaftlich ausgehandelter und politisch abgesicherter „Obergrenzen“ für Konsum. „Ein wichtiges Kriterium für die Obergrenzen von Konsum liegt darin“, so Brand, „dass gerade wohlhabende Menschen deutlich weniger Ressourcen verbrauchen und Treibhausgase ausstoßen. Die Selbstverständlichkeit eines Zweit- oder Drittautos, eines Zweithandys oder der Wochenendausflug mit dem Flugzeug würde so hinterfragt. Das sollte nicht als Verzicht thematisiert werden, sondern als gesellschaftliche Norm und politische Regel in Zeiten der Übernutzung des Planeten. Ein Leben in Freiheit bedeutet eben nicht, immer und überall tun zu können, was man will und wenn man das nötige Geld dafür hat. Es müssen auch die Auswirkungen auf andere Menschen und auf die Natur berücksichtigt werden.“

Ein zweiter Knackpunkt wird darin liegen, umweltschädliche Industrien wie die Flug- und Autoindustrie umzubauen, teilweise auch rückzubauen und damit die entsprechenden Infrastrukturen. „Wir sehen an den Auseinandersetzungen um den Lobautunnel und die Stadtautobahn, dass solche Formen der Selbstbegrenzung in harten Konflikten durchgefochten werden müssen. Die ökologische Krise führt eben nicht per se zu mehr Einsicht“, so der Umweltpolitikforscher, der dem Nachhaltigkeitsbeirat der Universität Wien angehört.

„Es sind wohl weniger die wissenschaftlichen Ergebnisse der Studie `Grenzen des Wachstums´, die solch eine breite Resonanz auslösten“, sagt Alina Brad, “sondern der Unmut über die gesellschaftlichen Entwicklungen. Vor 50 Jahren war das so und heute stehen dafür die Berichte des Weltklimarates IPCC. Die Gesellschaft entwickelt über solche Studien ein Verständnis ihrer Probleme und Krisen, aber auch über verschiedene Handlungsoptionen. Doch es wird an ihnen das komplette Versagen der Politik deutlich. Sie appelliert an die Individuen, ökologischer zu konsumieren, lässt aber die wirtschaftlich Mächtigen weitgehend unangetastet.“

„Der Bericht hat eine große Aktualität, denn das Wirtschaftssystem mit seinem Wachstumszwang führt immer wieder zu Konflikten bis hin zu Kriegen“, so Professor Ulrich Brand. „Die ForscherInnen haben schon damals gemahnt, dass das Wettrüsten aufhören und die internationale Kooperation intensiviert werden müsste.“

Literaturhinweise:

(1) Meadows, Dennis et al. (1972): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Reinbek bei Hamburg.

(2) Brand, Ulrich, Brad, Alina et al. (2021): From Planetary to Societal Boundaries: An argument for collectively defined self-limitation. In: Sustainability. Science, Practice and Policy, 17(1), 265-292; https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/15487733.2021.1940754